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Mündliche Verhandlung beim LVwG

Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt bereits nach der Aktenlage hinreichend geklärt war und in der Beschwerde ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen wurden, zu deren Lösung auch im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung der beantragten öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden (vgl. dazu allgemein VwGH 06.11.2013, 2011/05/0007; 15.05.2014, 2012/05/0089; 09.10.2014, Ro 2014/05/0076; und zu Vollstreckungsverfahren im Besonderen VwGH 16.03.2012, 2010/05/0090 sowie 24.01.2013, 2011/06/0184).

Eine mündliche Verhandlung ist somit bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Landesverwaltungsgericht durchzuführen (vgl. VwGH vom 30.06.2015, Zl. Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (vgl. VwGH vom 30.09.2015, Zl. Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das Landesverwaltungsgericht (vgl. das zitierte Erkenntnis des VwGH vom 30.09.2015, mwN).

Kollegiale Willensbildung

Zur Unterzeichnung des Bescheides ist auszuführen, dass aus den einem Vorsitzenden eines Kollegialorganes zukommenden Leitungsbefugnissen (in Ermangelung einer ausdrücklichen gegenteiligen gesetzlichen Anordnung) seine Befugnis abzuleiten ist, einen Bescheid des Kollegialorganes als „Genehmigender“ zu unterfertigen. Dabei handelt es sich um eine (bloße) Bekanntgabe des kollegial gebildeten Willens durch den Vorsitzenden nach außen. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der jeweilige Inhaber dieser Funktion diese Aufgabe erfüllt, selbst dann, wenn er an der diesbezüglichen kollegialen Willensbildung nicht mitgewirkt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. November 2007, 2007/16/0150).

Beweiswürdigung

Vorauszuschicken ist, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, 2008/09/0259).

Beurteilung des Privat- und Familienlebens

Die Frage, ob ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ist einzelfallbezogen zu beurteilen.

Der EGMR hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (vgl. dazu VfGH 29.09.2007, B1150/07): Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.9.2004, Fall Ghiban, Appl. 11.103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.5.1985, Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.6.2002, Fall Al-Nashif, Appl. 50.963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.4.1997, Fall X, Y und Z, Appl. 21.830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 2.8.2001, Fall Boultif, Appl. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124; 11.10.2005, 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 11.4.2006, Fall Useinov, Appl. 61.292/00) für maßgeblich erachtet. Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 5.9.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

Bei der Beurteilung nach Art. 8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, die die belangte Behörde bei Anwendung des § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmen hat. Gemäß dieser Bestimmung kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens bestimmter Erteilungshindernisse sowie trotz Ermangelung bestimmter Voraussetzungen erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zukommt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 9. November 2010, 2009/21/0031, und vom 21. Februar 2012, 2011/23/0275). In einem solchen Fall müssen nähere Feststellungen zu den Lebensverhältnissen des Fremden und seines Ehepartners, insbesondere zu den Wohnverhältnissen, der Art ihrer Beschäftigungen und den erzielten Einkommen, aber etwa auch zur Frage der Deutschkenntnisse sowie zu den Bindungen zum Heimatstaat und zur Möglichkeit und Zumutbarkeit der Führung eines Familienlebens außerhalb Österreichs getroffen werden (VwGH 28.03.2012, 2009/22/0272).

Der Begriff des ‚Familienlebens‘ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423, vgl. auch VwGH vom 8.6.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder VwGH vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, wo der VwGH im letztgenannten Erkenntnis feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Begriff des Familienlebens ist darüber hinaus nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR 13.6.1979, Marckx; EGMR 23.04.1997, X).

Öffentliche Ordnung und Sicherheit

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes „sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde“ im § 11 Abs. 4 Z 1 NAG eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils, an Hand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. ua. VwGH 27.09.2010, 2009/22/0044).

Nach der diesbezüglich ergangenen Judikatur (vgl. die Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, Bouchereau, vom 19. Jänner 1999, Rs C 348/96, Calfa, und vom 10. Februar 2000, Rs C 340/97, Nazli) kann aber das bloß tatbildmäßige Verhalten eines Fremden auch im Verständnis des Europarechts im Einzelfall die Beurteilung rechtfertigen, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Sicherheit gefährden. Freilich dürfen Änderungen in den Lebensumständen des Fremden, die gegen den Fortbestand einer solchen Gefährdungsprognose sprechen, bei einer solchen Beurteilung nicht ausgeklammert werden.

Bei der Beurteilung, ob eine solche Annahme gerechtfertigt ist, muss nicht auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung abgestellt werden. Auch das Anzeigen an Behörden oder Gerichte zu Grunde liegende Verhalten kann – wie auch sonstiges Fehlverhalten – zur Annahme führen, der Aufenthalt eines Fremden würde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit hervorrufen. Dabei ist aber auf die Art und Schwere des den Anzeigen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens abzustellen. Die bloße Tatsache einer Anzeigeerstattung reicht für die genannte Annahme nicht (vgl. E. des VwGH vom 3. April 2009, 2008/22/0711 und vom 19. Februar 2014, 2011/22/0009).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum FrPolG 2005 ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose nämlich das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei kann zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten herangezogen werden (vgl. VwGH vom 20.08.2013, 2013/22/0113, mwN.; sowie VwGH vom 09.11.2011, 2010/22/0165, zum NAG 2005).

… (zur Relevanz von gefährlichen Drohungen bzw. Nötigungen vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Juni 1996, Zl. 96/19/0899, und vom 4. Februar 2000, Zl. 99/19/0075).

Auch mit den wiederholten illegalen Einreisen vermag die belangte Behörde ihre Annahme über die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht zu stützen. Ein unrechtmäßiger Aufenthalt führt für sich allein nämlich nicht zum Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, 2010/21/0255).

De facto Zwang

In Verfahren zu Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 und 3 NAG hat die hs. Niederlassungsbehörde infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 15. November 2011 in der Rechtsache C-256/11, Murat DERECI u.a., zu berücksichtigen, ob eine öster. Ankerperson eines drittstaatsangehörigen Antragsstellers bei Nichtgewährung des von diesem begehrten Aufenthaltstitels de facto gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. In seiner aktuellen Entscheidung in der Rechtsache Dereci (C-256/11) hebt der EuGH mehrfach hervor, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Art. 20 AEUV stehe nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern (hier der öster. Ankerperson) der tatsächliche Genuss des Kernbestandes der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. Rz 62 der genannten EuGH Entscheidung).

Mit der Entscheidung in der Rechtssache Dereci präzisierte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung (insbesondere in der Rs. Zambrano, C-34/09) und folgerte, dass sich das Kriterium der Verwehrung des Kernbestandes der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, auf Sachverhalte bezieht, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaates, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes“ (vgl. Rz 66 der genannten EuGH Entscheidung Dereci). Ein Aufenthaltsrecht darf dieser Entscheidung zu Folge einem drittstaatszugehörigen Familienangehörigen eines Österreichers nicht verwehrt werden, wenn die österreichische Ankerperson im Falle der Verweigerung des begehrten Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 oder 3 NAG für den drittstaatszugehörigen Antragssteller des facto gezwungen wäre, sowohl Österreich als auch das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. In einem derartigen Fall würde die Nichtgewährung des Aufenthaltsrechts bedeuten, dass die Unionsbürgerschaft der öster. Ankerperson ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde.

Als Anhaltspunkte für die maßgebliche Frage, unter welchen tatsächlichen Gegebenheiten ein Antragsteller de facto gezwungen ist, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, erläutert der EuGH, dass die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitglied-Staates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Europäischen Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Drittstaatsangehörige mit ihm zusammen im Gebiet der Europäischen Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (vgl. EuGH Rechtssache Dereci, C-256/11, Rz 68 bzw. VwGH vom 19. Jänner 2012, Zl 2011/22/0313 sowie VwGH vom 19. Jänner 2012, Zl 2011/22/0312).

Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Zambrano, C-34/09, ist jedenfalls in jenen Fällen der Kernbestand der Unionsbürgerrechte beeinträchtigt, in denen ein minderjähriger Unionsbürger aus dem Gebiet der Europäischen Union ausreisen müsste, um seinen beiden drittstaatsangehörigen Elternteilen (weil diesen kein Aufenthaltsrecht gewährt wurde) zu folgen.

Auf Grundlage der bisherigen Judikatur des EuGH ist daher lediglich in Ausnahmesituationen von einer Gefahr der Beeinträchtigung des Kernbestands der Unionsbürgerrechte auszugehen (vgl. EuGH Entscheidung in der Rechtssache Dereci, Rz 67). Diese Auffassung des EuGH hat mittlerweile auch der VwGH seinen Entscheidungen mehrfach zugrunde gelegt (vgl. z.B: VwGH vom 21. Dezember 2011, ZI 2009/22/0054, sowie vom 19. Jänner 2012, ZI 2008/22/0130).

Stillhalteklausel Türkei

Gemäß Art 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Gemäß Art 14 Abs 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls verpflichten sich die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 15.11.2011, C-256/11 Dereci, in Randziffer 88 ausgeführt, dass die Stillhalteklausel in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls nicht aus sich heraus geeignet sei, türkischen Staatsangehörigen allein auf der Grundlage des Unionsrechts „ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht zu verleihen“, und kann ihnen auch „weder ein Recht auf freien Dienstleistungsverkehr noch ein Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ verschaffen. Die Klausel verbiete jedoch allgemein die Einführung neuer Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, „dass die Ausübung dieser wirtschaftlichen Freiheiten“ durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn galten, als das Zusatzprotokoll in Bezug auf den betreffenden Mitgliedstaat in Kraft trat.

Da der EuGH in der Rechtssache Dereci – wie oben ausgeführt – immer nur auf die Niederlassungs- bzw Dienstleistungsfreiheit abstellt, ist auch davon auszugehen, dass das Abkommen nur eine Person schützt, die im Zeitpunkt der Einreise in einen Unionsstaat die Absicht hat, dort (dauerhaft oder zeitlich befristet) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. In diesem Sinne dürfte auch der Verwaltungsgerichtshof zu verstehen sein wenn er festhält, dass die belangte Behörde „auf Grund der dem … erwerbstätigen türkischen Beschwerdeführer zu Gute kommenden Stillhalteklauseln“ günstigere Rechtsbestimmungen hätte heranziehen müssen“ (VwGH 13.11.2012, 2008/22/0844; ebenfalls auf die bereits bestehende Erwerbstätigkeit abstellend etwa VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180).

Dem Beschwerdeführer, der in Österreich offenkundig die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beabsichtigt hat und zufolge den Feststellungen der belangten Behörde auch bereits einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, könnte allerdings die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB 1/80) bzw. des Art. 41 Abs. 1 des mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (im Folgenden kurz: Zusatzprotokoll) zugutekommen. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls führen die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs ein. Diese Klauseln entfalten unmittelbare Wirkung und schließen bezüglich der in ihren Geltungsbereich fallenden türkischen Staatsangehörigen die Anwendbarkeit aller neu eingeführten Beschränkungen aus (VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180).

Zum einen hat der EuGH klargestellt, es stehe der Anwendung des Art. 13 ARB 1/80 nicht entgegen, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht bereits (legal) in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integriert ist, also die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht erfüllt; die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 dient nämlich, so der EuGH, nicht dazu, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern soll gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genießen (vgl. das Urteil Toprak und Oguz, Randnr. 45, samt den dortigen Hinweisen auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH, VwGH 23.12.2011, 2008/22/0180).

Nach der vor dem 1. Jänner 2006 geltenden Rechtslage des Fremdengesetzes 1997 (FrG) durfte jeder Ehegatte eines Österreichers – gleich welcher Staatsangehörigkeit – den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland stellen und die Entscheidung im Inland abwarten. Der Antrag durfte nur dann abgelehnt werden, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die Ordnung und Sicherheit darstellte (§ 49 FrG). Der Anwendungsbereich des § 49 FrG erfasste (nicht nur, aber) auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige waren. Mit der am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen Änderung der Rechtslage (Außerkrafttreten des FrG und Inkrafttreten des NAG) wurde die Rechtsposition aller drittstaatszugehörigen Angehörigen von Österreichern umgestaltet. Von den ab diesem Zeitpunkt geltenden strengeren Voraussetzungen waren wiederum auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige sind, betroffen (VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180).

Zur Anwendbarkeit der Stillhalteklausel bei „nicht ordnungsgemäßen Aufenthalts“ ist in Bezug auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 15. November 2011, C-256/11 „Dereci“, festzuhalten, dass in der Rechtssache „Dereci“ ein zunächst rechtmäßiger Aufenthalt vorlag, der nur durch das Inkrafttreten des NAG zu einem nicht ordnungsgemäßen Aufenthalt wurde. Insofern hielt der EuGH auch unter Randnr. 100 seines Urteils fest, dass eine nicht ordnungsgemäße Situation deshalb nicht gegeben sei, „da die Unregelmäßigkeit infolge der Anwendung der Bestimmung eingetreten ist, die eine neue Beschränkung darstellt“. Vgl. dazu auch VwGH 15.10.2015, 2015/21/0117: Liegt die Unregelmäßigkeit des Aufenthalts des Fremden schon von vornherein vor, und zwar insbesondere vor seiner Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin und damit unabhängig von der mit 1. Jänner 2006 durch das NAG 2005 eingeführten „neuen Beschränkung“, so ist die Unregelmäßigkeit der Situation des Fremden gerade nicht infolge der Anwendung der neuen Bestimmungen eingetreten; sie hatte sich vielmehr schlicht dadurch ergeben, dass er während seines Asylverfahrens keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position im österreichischen Hoheitsgebiet innehatte. Sein Aufenthalt war daher nicht „ordnungsgemäß“ (vgl. EuGH 7.11.2013, C-225/12 „C. Demir“), weshalb er sich nicht auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen kann. Dies steht nicht nur in Einklang mit den Urteilen des EuGH (21.10.2003, C-317/01, „Abatay“; 17.09.2009, C-242/06, „T. Sahin“), sondern entspricht auch der Judikatur des VwGH (dazu, dass eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung keine „gesicherte Position“ vermittelt, E 16.01.2007, 2006/18/0402; E 21.03.2013, 2011/09/0171; zum Erfordernis der „Ordnungsgemäßheit“ für die Anwendbarkeit von Art. 13 ARB 1/80 E 26.01.2012, 2008/21/0304; E 24.03.2015, Ro 2014/09/0057).

Die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats voraus (vgl. EuGH 20.09.1990, C-192/89, Sevince, EuGH 08.11.2012, C-268/11, Gülbahce, Rn 39 und die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH 07.11.2013, Demir, C-225/12. Rn 46). Die Judikatur ist primär zu Art. 6 ARB 1/80 ergangen:

  • Verneint wurde eine solche ‚gesicherte und nicht nur vorläufige Position‘ in Fällen innerstaatlicher Erlaubnisse zum vorläufigen Aufenthalt, die rechtlich so ausgestaltet waren, dass sie nur (gleichsam mit einstweiliger Wirkung) bis zur endgültigen Entscheidung über das Aufenthaltsrecht des Betreffenden galten (EuGH 29.09.2011, C-187/10, Unal, Slg. 1-9045, Rn 47).
  • Verneint wurde eine ‚gesicherte und nicht nur vorläufige‘ Position weiters im Fall eines Aufenthalts während des Zeitraums, in dem eine Klage des Arbeitnehmers gegen eine Entscheidung, durch die ihm eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wurde, aufschiebende Wirkung hatte und ihm auf Grund dessen bis zum Ausgang des Rechtsstreits (nur) vorläufig der Aufenthalt und die Ausübung einer Beschäftigung im betreffenden Mitgliedstaat gestattet waren (EuGH 20.09.1990, C-192/89, Sevince, Sig. 1-3461).
  • Verneint wurde das Vorliegen einer ‚gesicherten und nicht nur vorläufigen‘ Position auch in Fällen, in denen dem Betreffenden ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung eingeräumt war, nach der der Aufenthalt während des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland erlaubt ist, da er das Recht, sich bis zu einer endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Staat aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig erhalten hatte (EuGH 16.12.1992, C-237/91, Kus, Slg. 1-6781; EuGH 30.09.1997 Ertanir Rn 48 bis 50).
  • Darüber hinaus verneinte der EuGH die Einstufung eines Aufenthalts als ‚gesichert und nicht nur vorläufig‘ im Fall von Beschäftigungszeiten, die aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, die der Betreffende allein durch eine Täuschung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, erwirkt hat (vgl. u. a. EuGH 05.06.1997, C-285/95, Kci/, Sig. 1-3069, Rn 27, und EuGH 11.05.2000, C-37/98, Savas, Sig. 1-2927, Rn 61).
  • Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine ‚gesicherte und nicht nur vorläufige Position‘ in Konstellationen, in denen der Aufenthalt des Fremden nicht im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften stand, weil seine Niederlassungsbewilligung bloß eingeschränkt auf unselbständige Erwerbstätigkeiten, die vom sachlichen Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen sind, erteilt gewesen war (VwGH 24.02.2009, 2008/22/0410).
  • Er verneinte sie weiters im Fall eines vorläufigen asylrechtlichen Aufenthaltsrechtes, weil dieses mit dem zu einem ungewissen Zeitpunkt eintretenden Abschluss des Asylverfahrens endet (VwGH, 01.06.2001, 2001/19/0035, mwN) und implizit auch für einen nach § 24 Abs. 1 lit. a des Passgesetzes 1969 erteilten Sichtvermerk, mit Hinweis auf dessen Geltungsdauer (VwGH aaO).
  • Was Artikel 6 ARB 1/80 betrifft, ist aber zu berücksichtigen, dass diese Bestimmung eine gesicherte und nicht nur vorläufige des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates voraussetzt. Eine gesicherte und nicht nur vorläufige des Betroffenen erfordert das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechtes. Diese Voraussetzung wird insbesondere dann nicht erfüllt, wenn das Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bloß auf Grund einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung besteht. Diese Berechtigung vermittelt nämlich keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt (VwGH 07.09.2011, 2008/08/0211, mwN).

Folgende Judikatur findet sich explizit zu Art. 13 ARB 1/80:

  • Demgegenüber bejahte der Verwaltungsgerichthof die Anwendbarkeit der Stillhalteklausel nach Art. 13 ARB 1/80 in Fällen, in denen der Antragsteller noch keinen Aufenthaltstitel inne hatte, in denen gerade jene (innerstaatlichen) Regelungen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Art. 13 ARB 1/80 zur Beurteilung standen, die dem beantragten Aufenthaltstitel entgegenstanden (VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180, in Anwendung der Grundsätze des Urteils des EuGH vom 15.11.2011, C- 256/11, Dereci).
  • Im vorliegenden Fall lag die Unregelmäßigkeit seines Aufenthalts aber schon von vornherein vor, und zwar insbesondere vor seiner Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin und damit unabhängig von der mit 1. Jänner 2006 durch das NAG eingeführten „neuen Beschränkung“. Die Unregelmäßigkeit der Situation des Revisionswerbers ist daher gerade nicht infolge der Anwendung der neuen Bestimmungen eingetreten; sie hatte sich vielmehr schlicht dadurch ergeben, dass er während seines Asylverfahrens keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position im österreichischen Hoheitsgebiet innehatte. Sein Aufenthalt war daher nicht „ordnungsgemäß“ (siehe zuletzt das Urteil des EuGH vom 7.11.2013, C-225/12, „C. Demir“, Randnr. 48), weshalb er sich nicht auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen kann (VwGH 15.10.2015, Ra 2015/21/0117).
  • Art. 13 ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass der Aufenthalt der türkischen Staatsangehörigen nicht ordnungsgemäß ist, wenn diese eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis besitzen, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über ihr Aufenthaltsrecht gilt (EuGH 7.11.2013, C-255/12, „Demir“, Randnr. 49).

Beachte aber: Der Begriff der „Ordnungsgemäßheit“ wurde vom EuGH unter Verweis auf den verwandten Begriff „ordnungsgemäße Beschäftigung“ in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erläutert, wobei der Begriff „ordnungsgemäß“ im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, die ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt (VwGH 24.03.2015, Ro 2014/09/0057).

Anwendungshinweise_zum_Assoziationsrecht_EWG_Tuerkei_BMI_Deutschland

Gleichzeitig mit Asylantrag
Einem Angehörigen eines österreichischen Staatsbürgers stand im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 aber auch der Status eines vorläufig aufenthaltsberechtigten Asylwerbers bei der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, 99/19/0234). Daher bewirkte § 1 Abs. 2 Z 1 NAG, der vorläufig aufenthaltsberechtigte Asylwerber, auch wenn sie Angehörige von Österreichern sind, von der Erteilung eines Aufenthaltstitels ausschließt, eine unzulässige Schlechterstellung im Sinn des zitierten Assoziationsrechts (VwGH 19.01.2012, 2008/22/0837).

Waffenverbot

Bei einem Waffenverbot wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht über eine strafrechtliche Anklage (iSd Art 6 EMRK) entschieden, vielmehr handelt es sich dabei um eine administrativrechtliche Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung (vgl. etwa VwGH vom 19. März 2013, 2012/03/0180).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl etwa VwGH vom 18.09.2013, 2013/03/0072, mwN) dient die Verhängung eines Waffenverbotes der Verhütung einer missbräuchlichen Verwendung von Waffen. Dabei genügt es, wenn konkrete Umstände vorliegen, die die Besorgnis erwecken, dass von der Waffe ein gesetz- oder zweckwidriger („missbräuchlicher“) Gebrauch gemacht und dadurch eine Gefährdung im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG herbeigeführt werden könnte. Hierbei ist nach dem dem WaffG allgemein innewohnenden Schutzzweck bei der Beurteilung der mit dem Besitz von Schusswaffen verbundenen Gefahr ein strenger Maßstab anzulegen. Der Verbotstatbestand des § 12 Abs 1 WaffG setzt voraus, dass auf Grund objektiver Sachverhaltsmerkmale eine qualifiziert rechtswidrige Verwendung von Waffen (nämlich durch gesetz- oder zweckwidrigen Gebrauch) zu befürchten ist. Liegt diese Voraussetzung vor, so hat die Behörde gemäß § 12 Abs 1 WaffG vorzugehen und ein Waffenverbot auszusprechen, ohne dass ein bisher untadeliges Vorleben dem entgegenstünde (VwGH vom 27.01.2016, 2016/03/0002).

Entscheidend für die Verhängung eines Waffenverbotes ist, ob der von der Behörde angenommene Sachverhalt „bestimmte Tatsachen“ iSd § 12 Abs. 1 WaffG begründet, ob also die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene könnte durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden. Demgegenüber ist die Versagung bzw. der Entzug waffenrechtlicher Urkunden (vgl. § 21 Abs. 1 bzw. § 25 Abs. 3 WaffG) schon bei fehlender waffenrechtlicher Verlässlichkeit (vgl. § 8 WaffG) gerechtfertigt, die insofern an andere, weniger strenge Anforderungen geknüpft sind (vgl. etwa VwGH vom 28. November 2013, 2013/03/0084).

Es ist ersichtlich, dass die Entscheidung, ob ein Waffenverbot zu verhängen ist, keine Ermessensentscheidung ist (arg. „…hat…“, siehe auch VwGH vom 12. September 2002, Zl. 2000/20/0425).

Um zu einer derartigen Entscheidung zu kommen, ist eine Prognoseentscheidung durchzuführen. Diese Prognose hat auf Tatsachen zu basieren. Die angenommenen Tatsachen müssen wiederum die zukünftige Missbrauchsmöglichkeit (im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter: Leben, Gesundheit, Freiheit und fremdes Eigentum) begründen. Eine Missbrauchswahrscheinlichkeit wird nicht gefordert. Ebenso ist nicht gefordert, dass bereits einmal ein Missbrauch stattgefunden hat (vgl. VwGH vom 18. März 2011, Zl. 2008/03/0011).

§ 12 Abs. 1 WaffG erlaubt es ua. nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, im Interesse der öffentlichen Sicherheit bestimmten Menschen den Besitz von Waffen überhaupt zu verbieten; eine Einschränkung des Waffenverbotes auf eine bestimmte Art von Waffen (etwa genehmigungspflichtige Schusswaffen) kommt nicht in Betracht (vgl ua. VwGH vom 18. September 2013, 2013/03/0050).

Im Fall einer verurteilenden Entscheidung durch ein Strafgericht besteht eine Bindung der Verwaltungsbehörde in der Frage, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand erfüllt wurde; dagegen haben im Fall eines freisprechen-den Urteils die Waffenbehörde und das nachprüfende VwG eigenständig zu beurteilen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der nach den hiefür vom WaffenG vorgegebenen Kriterien die Erlassung des Waffenverbots rechtfertigt (vgl. VwGH vom 26.04.2016, Ra 2016/03/0009 ).

Alkoholmissbrauch für sich genommen vermag ein Waffenverbot nicht zu begründen (vgl. VwGH vom 30. Juni 2011, 2008/03/0114, betreffend einen zeitweiligen, und VwGH vom 25. Jänner 2001, 2000/20/0153, betreffend einen chronischen Alkoholmissbrauch). Vielmehr wurden in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Voraussetzungen für die Verhängung eines Waffenverbots nur dann angenommen, wenn zum Alkoholkonsum noch zusätzliche Gefahrenmomente hinzutreten. Derartige zusätzliche Gefahrenmomente liegen beispielsweise vor, wenn sich der Betroffene nach dem Genuss von Alkohol wiederholt aggressiv zeigte (vgl. VwGH vom 25. Jänner 2001, 2000/20/0153, mwN). Daraus lässt sich allerdings der Umkehrschluss, bei einer festgestellten einmaligen Gewalttat könne von der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung von Waffen im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG 1996 keinesfalls ausgegangen werden, nicht ziehen (VwGH vom 30.01.2014, 2013/03/0119).

Aufbewahrung

Auch die getrennte Aufbewahrung von Waffen und Munition vermag an der Feststellung der nicht sicheren Verwahrung nichts ändern. Nach ständiger Rechtsprechung wird der Gebrauch von Waffen durch Unbefugte nicht dadurch verhindert, dass die Waffen ungeladen oder nicht gebrauchsfähig sind. Denn der ungehinderte Zugriff zu den Waffen ermöglicht es dritten Personen, diese an sich zu nehmen und durch Laden bzw. Ergänzung fehlender Teile verwendungsfähig zu machen (VwGH vom 26. Februar 1992, 91/01/0191).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt das Zurücklassen einer Faustfeuerwaffe selbst in einem versperrten PKW keine sorgfältige Verwahrung im Sinne des § 8 Abs. 1 Z 2 zweite Alternative WaffG dar (vgl. zum inhaltsgleichen § 6 Abs. 1 Z. 2 WaffG 1986 z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, 95/20/0014, mwN). Versperrte Fahrzeuge – selbst wenn sie mit einer Alarmanlage ausgerüstet sind – bieten im Allgemeinen nicht die nötige Sicherheit dafür, dass die darin befindlichen Waffen nicht in die Hände unberufener Personen gelangen (VwGH vom 5. Juni 1996, 95/20/0156 mwN). Es kommt dabei nicht darauf an, dass die Waffe von außen sichtbar ist (VwGH vom 9. September 1981, 81/01/0102, oder auch Verwaltungsgerichtshof vom 24. Jänner 1995, 94/20/0855, betreffend das Zurücklassen einer Waffe im Kofferraum eines versperrten PKW).

Verlässlichkeit

Vor Ausstellung einer Waffenbesitzkarte gemäß § 21 Abs. 1 WaffG hat die Behörde u.a. die waffenrechtliche Verlässlichkeit des Antragstellers im Sinne des § 8 WaffG zu prüfen. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass angesichts des mit dem Waffenbesitz von Privatpersonen verbundenen Sicherungsbedürfnisses nach Sinn und Zweck der Regelung des WaffG bei der Prüfung der Verlässlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist (z.B. VwGH vom 24.03.2010, 2009/03/0156).

Die „Tatsachen“ im Sinne des § 8 Abs 1 Waffengesetz als Ausgangspunkt der Prognoseentscheidung sind nicht eingeschränkt; es kommt jede Verhaltensweise, jede Charaktereigenschaft der zu beurteilenden Person in Betracht, die nach den Denkgesetzen und der Erfahrung einen Schluss auf ihr zukünftiges Verhalten im Sinne des § 8 Abs 1 Z 1 bis 3 Waffengesetz zulässt, also erwarten lässt, der Betreffende werde Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, damit unvorsichtig umgehen oder sie nicht sorgfältig verwahren oder sie Menschen überlassen, die zu deren Besitz nicht berechtigt sind (VwGH vom 18.10.2005, 2005/03/0060).

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass das Verbringen einer Waffe in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ohne entsprechende Erlaubnis (ebenso wie der unbefugte Besitz von Waffen) allein mangels ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung noch nicht die Annahme der Unverlässlichkeit rechtfertigt. Derartige Verstöße können aber die Beurteilung mangelnder Verlässlichkeit dann rechtfertigen, wenn sie im Rahmen einer gesamthaften Beurteilung der Geisteshaltung und Sinnesart des Betroffenen die Verlässlichkeit in Frage stellen. Das kann dann der Fall sein, wenn ein solcher Verstoß zu weiteren berücksichtigungswürdigen Umständen hinzutritt (VwGH vom 21.10.2011, 2010/03/0156).

Bei der Beurteilung des unbefugten Besitzes kommt den konkreten Umständen, wie die Verschuldensform, die Dauer des unberechtigten Besitzes und allfälliger Versuche der Legalisierung, maßgebliche Bedeutung zu. (VwGH vom 28.02.2006, 2005/03/0019).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem klargestellt, dass auch ein einmaliges Fehlverhalten zur Verneinung der waffenrechtlichen Verlässlichkeit führen kann, und zwar selbst dann, wenn die Zugriffsmöglichkeit auf die Waffe nur relativ kurze Zeit bestand, wobei weder entscheidend ist, ob ein Zugriff auf die Waffe durch Unberechtigte tatsächlich erfolgte, noch, ob die Waffe geladen oder ungeladen aufbewahrt wurde (VwGH vom 23.11.2009, 2007/03/0180).

Verstreicht nach einem Anlassfall ausreichend lange Zeit, in der sich der Bf in waffenrechtlicher Hinsicht verlässlich gezeigt hat, also keine Verhaltensweisen gesetzt hat, die erneut seine Verlässlichkeit in Zweifel ziehen ließen, ist darin eine wesentliche Änderung der Tatsachenlage zu sehen, wobei der Verwaltungsgerichtshof zuletzt im Erkenntnis vom 26. April 2011, Zl. 2011/03/0067, unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 23. November 2009, Zl. 2007/03/0059 erkannt, dass ein Zeitablauf von mehr als fünf Jahren regelmäßig als wesentliche Änderung des für die Beurteilung der Verlässlichkeit maßgeblichen Sachverhalts anzusehen wäre.