Archiv der Kategorie: StVO 1960

Anhörungs- und Ermittlungsverfahren

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß §43 StVO 1960 die im einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl VfSlg 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung ‚der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse‘ durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl VfSlg 12.485/1990, 13.449/1993, 16.805/2003 sowie VfGH 13.6.2005, V128/03) .

Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 14.051/1995, vgl. zuletzt VfSlg 17.354/2004) begründen nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe „in spezifischer Weise“ durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, die Anhörungspflicht gemäß §94f Abs1 StVO 1960. Insoweit Mitglieder einer Berufsgruppe hingegen „ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer“ durch eine straßenpolizeiliche Verordnung betroffen sind, wird nicht bewirkt, dass die Interessen der Berufsgruppe „im Sinne des §94f Abs1 lita Z3 StVO 1960 spezifisch ‚berührt werden“‚ (VfGH 22.09.2016, V45/2015).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfGH 25.2.2003, V73/02) dient das Anhörungs- und Ermittlungsverfahren dem Zweck, eine ‚Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrsverhältnisse‘, sowie eine ’sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll‘ zu ermöglichen, damit die Behörde auf dieser Grundlage die gemäß §43 StVO 1960 vor Verordnungserlassung gebotene Interessenabwägung zwischen den Interessen an der Verkehrsbeschränkung und dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße vornehmen kann. Daher kann das versäumte Ermittlungsverfahren nicht erst nach Verordnungserlassung ergänzt werden. Die nachträglich vorgenommenen Ermittlungsschritte (Einholung eines Gutachtens eines Verkehrssachverständigen) können die Gesetzwidrigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung daher nicht beseitigen (vgl schon das Erkenntnis VfSlg 15643/1999, in dem der Gerichtshof das Nachholen der Ermittlung durch ’nachträgliche‘ Anhörung von Interessenvertretungen als unerheblich für die Rechtmäßigkeit einer Verordnung angesehen hat). Die verordnungserlassende Behörde ist aber nicht daran gehindert, die nachträglichen Ermittlungsergebnisse als Entscheidungsgrundlage für eine neu zu erlassende Verordnung heranzuziehen (VfGH 22.09.2016, V45/2015).

Erforderlichkeit einer Verkehrsmaßnahme

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28.2.2006, V86/05, unter Hinweis auf die Erkenntnisse VfSlg 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und ua in VfSlg 13.371/1993 und 14.051/1995 wiederholte, sind ‚bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 … die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen‘. Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Judikatur davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat:
Hier (VfGH 22.09.2016, V45/2015): Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für die eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs.2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen (zB VfSlg 16.016/2000, 16.917/2003).